Leila,6 Jahre aus Russland

Dem Krieg ein paar Stunden entrinnen

 Leila kennt bisher nur die Zeltschule im Flüchtlingslager. Die Sechsjährige kann zwar noch nicht lesen oder schreiben, aber sie hört gerne den Geschichten zu, die der Lehrer erzählt. Das Mädchen lebt mit seiner Tante und zwei Cousins im Lager Logowats im Osten Inguschetiens. Ihr Zelt teilen sie sich mit weiteren zwölf Flüchtlingen. Leila beklagt sich nicht, dass sie keine Winterschuhe hat. Viel schlimmer ist, dass ihre Eltern nicht da sind. An ihren Vater kann sie sich kaum erinnern, er starb bereits vor Jahren im ersten Tschetschenien-Krieg. Das Bild ihrer Mutter aber hat Leila gut vor Augen – ihr Foto hält sie fest umklammert. Oft fragt sie ihre Tante, wann ihre Mutter wiederkommt. Leila weiß nicht, dass ihre Mutter vor Monaten von Heckenschützen in Grosny getötet wurde. Sie sehnt sich nach ihr und wartet. Nur die Schule und das Spiel mit ihren Klassenkameraden bieten etwas Ablenkung.
„Viele Flüchtlingskinder leiden unter Ess- und Schlafstörungen“, sagt die Psychologin Lamara Umarowa. „Die Kinder sind so traumatisiert, dass sie sich verstecken, sobald sie einen Hubschrauber hören.“ Die Psychologin leitet im Flüchtlingslager Sputnik nahe der Grenze ein Projekt, das auch von UNICEF unterstützt wird. Hier leben 8.000 Flüchtlinge, die Hälfte davon sind Kinder. Zwölf Psychologen kümmern sich um die Kinder und Frauen, auch freiwillige Helfer arbeiten mit. Lamara Umarowa zeigt Bilder der Kinder: „Ein Mädchen malte, wie es sich mit Familie und Nachbarn in Kellern vor den drohenden Luftangriffen in Grosny versteckte. Nach drei Stunden wollten die Menschen nicht länger warten und rannten in ihre Häuser zurück. In diesem Moment gerieten sie in einen Bombenhagel, bei dem viele starben.“ Um die schrecklichen Erinnerungen zu verarbeiten ist es am wichtigsten, dass die Kinder wieder lernen zu spielen und zu lachen. Deshalb malen und singen die Lehrer viel mit ihren Klassen. UNICEF hat Spielzeug, Bälle und Volleyballnetze verteilt – für die Mädchen und Jungen die Chance, den Kriegserinnerungen für ein paar Stunden zu entrinnen.