Rosa,10 Jahre aus Peru

Kinderarbeit in Peru

Rosas Gesicht ist schmutzverschmiert. Schweißtropfen rinnen ihr über die Stirn und verschleiern ihre müden Augen. Die Hitze ist unerträglich, in der Luft liegt der beißende Geruch von verfaultem Obst, verrottendem Fleisch und Fäkalien. Geier kreisen am Himmel:  Hier wird täglich der Müll einer Millionenstadt abgeladen.  Mit dem Arm wischt  sich das Mädchen die Stirn ab, der Träger ihres viel zu großen  Tops, das an jeder 16-Jährigen sexy aussehen würde, verrutscht. Rosa greift nach einem der großen Plastiksäcke und beginnt mit bloßen Händen in dem Dreck zu ihren Füßen zu wühlen. Ihre verklebte Hand zieht eine halbverfaulte Orange aus dem Abfallberg. Sie reicht die triefende Frucht ihrem kleinen Bruder Jonathan, der beginnt, sie mit dem Hunger der Verzweiflung auszusaugen.

Rosa ist zehn Jahre alt, ihr Bruder fünf. Jeden morgen, an sieben tagen in der Woche kommen die beiden Kinder mit ihren Eltern und ihrem Onkel gegen halb acht hierher, zur Müllhalde am Stadtrand von Trujillo, im Norden von Peru, knapp 600 Kilometer von Lima entfernt. Ein Ort der den unglaublichen Namen “El Milagro”, das Wunder, trägt.

Gemeinsam sammelt die Familie Papier, Flaschen und Plastikreste, die dann an Zwischenhändler zur Weiterverwertung verkauft. 10 Centimos (3 Cent) gibt es pro Kilo Material – der Gegenwert von einem Brötchen. 10 Centimos, um sich täglich der Gefahr einer Infektion auszusetzen, um jeden Tag müde und schmutzig zu sein nach dem harten Konkurrenzkampf unter den rund 400 “Kollegen”, von denen gut die Hälfte unter 14 Jahren ist. 10 Centimos, um sein Leben  in diesem bestialischen Gestank zu verbringen und in dem Abfall einer Gesellschaft zu wühlen, die so arm ist, dass sie ohnehin nichts zu verschenken hat.

“Die Wagen kommen!” ertönt der Schrei der größeren Jungs. Sie sind die Regenten hier innerhalb des wie eine Mafia organisierten Systems. Mit ihren langen dreizackigen Hacken wühlen sie nicht nur die Müllberge durch, sondern bestimmen auch die klar definierte Rangordnung der verschiedenen Familienclans auf der städtischen Müllhalde. Wer nicht pariert, kann schon mal ein Auge verlieren. Und wer will das schon riskieren, in einem Land, mit einer geschätzten Arbeitslosigkeit von 80 Prozent?

Staub wirbelt auf, als die Laster aus der Innenstadt heranbrausen, scharf wenden und ohne sich um die Menschenmassen zu schreien, zurücksetzen. “Im letzten Jahr ist hier ein Junge überfahren worden”, erzähl Rosa ungerührt, während sich ihre Haut langsam mit der sinkenden Staubschicht überzieht. Die großen Jungs sind nach vorne gestürmt, während der Laster sein verwesendes Gut ausspuckt. Ihre Gesichter sind mit T-Shirts verhüllt, um sich wenigstens leidlich vor dem Gestank zu schützen, sie drängeln und schubsen sich, um die besten Plätze zu ergattern, die ersten in diesem gnadenlosen Konkurrenzkampf zu sein

“An guten Tagen kommen schon so um die 12 Soles zusammen”, behauptet Rosas Vater. Aber gute Tage gibt es eher selten, die fünfköpfige Familien kann sich inzwischen freuen, wenn sie auf 4 bis 5 Soles (1,20 bis 1,50 €) kommt – und liegt damit noch unter dem ohnehin niedrig bemessenen Warenkorb einer peruanischen Durchschnittsfamilie, der bei 2 Soles (60 Cent) pro Kopf angesetzt wird. Highlights gibt es selten. Rosas Vater zeigt auf seine zerkratzte Uhr, deren Band halb zerrissen ist: “Die habe ich vor zwei Jahren gefunden und sie funktioniert immer noch”, strahlt er.

Rosa und Jonathan sind in der Menge verschwunden. Im Gegensatz zu älteren Kindern arbeite das Mädchen nicht mit einer Hacke oder Handschuhen, sondern sucht die wenigen Schätze an diesem furchtbaren Ort mit bloßen Händen. Das abgehackte Bein eines Esels, ein Haufen übelriechendes Gemüse, zerfallene Kleidungsstücke, die erbärmlich stinken – all das schiebt sie zur Seite, um darunter ein Stückchen Pappe hervorzuziehen. “Hier findet man auch manchmal Föten von den illegalen Abreibungen”, zieht sie die Ekelschraube weiter an und Lächelt zum ersten Mal schüchtern.

 Zwei Stunden lang kommen Laster um Laster. Die Mittagshitze macht schwindelig, der Geruch von Fäkalien und vermoderten Lebensmitteln raubt einem schier den Atem. Immer wieder wirbeln Stau, Dreck und Kleinteile in stinkenden Wolken hoch, wenn die Wagen der Stadtreinigung den Unrat auskippen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene drängeln sich um die neu angelieferten Berge, eine Mutter gibt ihrem Kind die Brust, während sie am Boden wühlt, Hunde schnappen nach suchenden Händen, die Geier haben sich längst am Boden niedergelassen und ihren Platz n der Hackordnung erobert.

Dann herrscht plötzlich Stille. Der letzte Wagen ist weg. Rosa ist ebenfalls verschwunden. “Sie ist zur Schule gegangene, das macht sie immer am Nachmittag”, behauptete ihr Vater, während er die Fundsachen auf eine wackelige Eselskarre lädt, um sie am Stadtrand zu verkaufen. Der Arbeitstag auf der Müllhalde ist vorbei. Rosas Schule liegt in “La Esperanza”, wo sie auch wohnt,  in einem verarmen Stadtteil von Trujillo, wo die Straßen ungeteert sind und tiefe Löcher aufweisen, wo die Häuser aus Blech, löcherigem Holz und Stoff zusammengehalten werden. La Esperanza heißt Hoffnung.

Britta Lippold