Venecias, 12 Jahre aus Mosambik

Venecias Traum: Eine AIDS-Waise erzählt


“Ich finde es nicht gerecht, dass mein Bruder nicht mithelfen will, weil er meint, dass er ein Mann ist”, sagt Venecia Vasco. Das sind für die schüchterne Zwölfjährige deutliche Worte, denn sonst berichtet sie eher klaglos über ihren Alltag. Dabei könnte sie gut Hilfe gebrauchen. ”Um 6 stehe ich auf und fege, dann muss ich Wasser und Holz holen, Geschirr spülen, Wäsche waschen und kochen”, erzählt Venecia, die mit ihrem zehnjährigen Bruder und drei Cousinen bei der Großmutter in Cachembe wohnt, etwa eine Autostunde von der mosambikanischen Provinzhauptstadt Tete entfernt.

Nachmittags kommen für Venecia dann die drei schönsten Stunden des Tages: Sie geht zur Schule. ”Portugiesisch ist mein Lieblingsfach”, sagt sie mit leuchtenden Augen. Venecia hat Glück, dass sie weiter zur Schule gehen kann. Denn ihre Großmutter Judite Botao konnte nicht das Geld für die Einschreibgebühr von gut einem Euro pro Kind, sowie für Hefte und Stifte für ihre fünf Enkelkinder aufbringen. Die Gemeinde hat die 68-Jährige mit der Organisation
HelpAge zusammengebracht. Die kleine Organisation kümmert sich mit Unterstützung von UNICEF in Cachembe darum, dass Waisenkinder nicht die Schule abbrechen müssen.

Venecia ist eine von 409 Waisen in dem 3.000-Seelen-Dorf, die mit ihren Großeltern zusammenleben. Venecias Eltern starben bereits vor sieben Jahren. Aber darüber will sie lieber nicht sprechen, die Gegenwart ist schon schwierig genug. Die Provinz Tete, im Korridor zwischen Simbabwe, Sambia und Malawi, liegt mit einer HIV-Ansteckungsrate von 17 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt von 13 Prozent. Die dramatischen Folgen der Epidemie werden durch die seit zwei Jahren herrschende Trockenheit noch verschärft. Seit vier Monaten hat es in Cachembe nicht mehr geregnet. Mehr als die Hälfte der Haushalte kann ohne Nahrungsmittelhilfe nicht überleben.

Die Dürre und die Aids-Epidemie treffen ein Land, in dem 70 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 40 US-Cent am Tag leben. Fast die Hälfte der mosambikanischen Kinder unter fünf Jahren ist chronisch mangelernährt. Schätzungsweise 300.000 Kinder haben bereits einen oder beide Elternteile durch Aids verloren. Viele dieser Waisen können nicht zur Schule gehen, weil sie auf den Feldern arbeiten müssen oder weil niemand da ist, der sie zur Schule schickt. HelpAge hat – gefördert von UNICEF – seit 2002 im Bezirk Changara schon 982 Waisenkinder wieder in die Schule integriert. Damit diese besonders gefährdeten Kinder in den verstreut liegenden Dörfern entdeckt werden, hat HelpAge bisher 50 ortsansässige Freiwillige zu Gemeindehelfern fortgebildet.

Venecia ist stolz. Trotz ihrer schwierigen Lebensumstände wird sie im Dezember die sechste Klasse abschließen. Eine beachtliche Leistung angesichts ihres harten Alltags. Jede Minute, die ihr für sich selbst noch bleibt nutzt sie, um mit ihrer Freundin Cherifa zu reden, vor allem über den Unterricht und ihren Traumberuf: Lehrerin.